ESG und Taxonomie als Chance, Bestehendes zu hinterfragen – gerade im Immobilienmanagement

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ESG und Taxonomie verändern unser Wirtschaftsleben. Und egal, wie sprunghaft die Politik gerade agiert (Verbrenner-Aus, Heizungen…), im Angesicht der immer deutlicheren Auswirkungen des Klimawandels auf unser Leben, ist es auch wichtig, dass die Wirtschaft für Umwelt und Soziales Verantwortung übernimmt. Das gilt ins besonders für die Immobilienbranche und, wie sie die bebaute Umwelt gestaltet und verwaltet.

Karl Zimota vom TÜV SÜD beschäftigt sich genau mit diesem Thema. In Vorbereitung auf den Immobilientag hat sich Gudrun Ghezzo mit ihm über die aktuellen Herausforderungen im Gebäudemanagement, bei ESG und Taxonomie Konformität und Gebäudezertifizierungen ausgetauscht. Wie kann man mit den wenigen Daten, die wir vom Gebäudebestand haben, das Beste im Sinne der Nachhaltigkeit machen?

Gudrun Ghezzo: Der Gebäudebestand rückt in der aktuellen Marktsituation noch mehr in den Fokus. Was ist die Rolle des TÜV SÜD, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit bei Bestandsimmobilien geht?

Karl Zimota: Für den TÜV SÜD ist Nachhaltigkeit im Immobilienbereich ein globales Thema, das seit vielen Jahren unter der Business Line Smart Sustainable Buildings weltweit innerhalb des Konzerns vernetzt wird. Nur durch diese Vernetzung und aktiven Austausch können wir die Transformation in Richtung nachhaltige Services schaffen. In Österreich setzen wir immer stärker als unabhängiger Dritter und Fachexperte für Kunden und Partner auf nachhaltige Serviceleistungen. Zu EU-Taxonomie, Nachhaltige Gebäudezertifizierungen (BREEAM...), Technisches Monitoring im Lebenszyklus, aber natürlich auch zur Kreislaufwirtschaft, Umweltschutz, Dekarbonisierung und ESG bieten wir fachliche Expertise und Services an – und zwar für alle: für Konzerne, Immobilien-Portfolios oder Unternehmen mit einzelnen Assets.

Gudrun Ghezzo: Wie funktioniert ein sinnvolles und nachhaltiges Immobilien- bzw. Facilitymanagement?

Karl Zimota: Wir müssen lernen, Effizienz und Nachhaltigkeit im Immobilien- bzw. Facility Management in Einklang zu bringen und die Mitarbeiter*innen und Kunden, die immer im Mittelpunkt stehen, auf die Reise mitnehmen - das sind oft keine Quick Wins. Der Verantwortungsbereich der meisten Facility Manager wurde in den letzten Jahren immer größer und komplexer. Nachhaltiges Immobilien- und Facilitymanagement kann nur sinnvoll umgesetzt werden, wenn auch Daten strukturiert vorhanden sind und sinnvolle Digitalisierung und Automation,  auch angewendet wird. Und das möglichst mit Beibehaltung oder Steigerung der vereinbarten Service Levels. Technische Monitoring Plattformen können hier durch performanceabhängige Analysen, sowohl beim Thema Dekarbonisierung, Energieverbrauch, Benchmarking, aber auch im Bereich der Prozesse und Ressourcen einen großen Beitrag leisten. Ein nur störungsgesteuerter Gebäudebetrieb trifft nicht die Ziele, die wir für die Dekarbonisierung brauchen. Wichtige Eckpunkte in diesem Zusammenhang sind u.a. in der "Leitlinie für nachhaltiges Facility Management" der FMA / klimaativ und dem BMKS nachzulesen.

Gudrun Ghezzo: Daten sind dabei der Engpass. Was müssen Asset Manager, Verwalter oder Facility Manager tun, um die nötigen Daten in entsprechender Qualität zu bekommen?

Karl Zimota: Aus meiner Erfahrung steckt in vielen Bestandgebäuden mehr drin als viele glauben - gerade jetzt müssen wir mit unseren Herausforderungen wachsen und das nutzen, was vorhanden ist. Ich denke unser Zielbild muss sein, mit möglichst wenigen Daten einen möglichst großen Effekt zu schaffen - das Pareto-Prinzip ist hier gefragt. Dieser Ansatz gilt besonders für große Immobilienportfolios, wo vielleicht bei ähnlichen technischen Strukturen auch ähnliche Optimierungsansätze getroffen werden können.  Dies spart Zeit und Geld. Kernstück sind aktuelle Daten und Informationen - ohne Daten keine sinnvollen Vergleiche.

Um Nachhaltigkeitsdaten u.a. für das ESG-Unternehmensreporting aktuell und transparent zur Verfügung zu haben, sollten unternehmensweit Mindeststandards bis ins einzelne Gebäudereporting etabliert werden. Nur dadurch sind die bestehende Reporting-Anforderungen wie die der EU-Taxonomie und auch zukünftige, wie beispielsweise zur Circular Economy, zu erfüllen. Die Unternehmen, die über viele Jahre ihre Hausaufgaben gut gemacht haben, werden echte Wettbewerbsvorteile haben.

Gudrun Ghezzo: ESG und sonstige Reportings sind mittlerweile verpflichtend, bzw. gewinnen an Bedeutung: Für die Unternehmen eine große Herausforderung. Wie können Unternehmen das effizient schaffen?

Karl Zimota: ESG Reporting ist gekommen, um zu bleiben. Dazu braucht es in Unternehmen jetzt nachhaltige, aber auch ausreichend flexible Prozesse! Verschiedene Interessensbereiche sollten zusammenarbeiten, um redundante Datenhaltung zu vermeiden, dann wird das auch langfristig effizient zu schaffen sein. Der TÜV SÜD hat unter dem Namen LIME ein globales ESG-Performance Portal entwickelt, das speziell auf Unternehmen mit großen Immobilienportfolios abzielt.

Dieses Portal versetzt Sie in die Lage, alle relevanten Daten ESG-konform zusammenzuführen, diese ständig zu aktualisieren und somit einen gut strukturierten, übersichtlichen und tagesaktuellen Überblick über die Daten zu erhalten.

Damit kann man dann auch die Vorteile von Real Time- und Big Data bis zur KI zukünftig nutzen.

Gudrun Ghezzo: Gibt es dabei Dinge, die oft übersehen werden oder auf die man besonders achten sollte?

Karl Zimota: Nachhaltigkeit ist jetzt unsere Chance bestehende Prozesse zu hinterfragen. Das Motto "Rethink" sollte uns jetzt helfen, die richtigen Weichen zu stellen.

Im Bereich der Abnahmeprüfung und Inbetriebnahme werden noch immer Prozesse gelebt, die aus einem wesentlich einfacheren technischen Umfeld stammen. Mit der Veränderung der Komplexität in Gebäuden wäre auch die Systematik zB. von Funktionsprüfungen und Inbetriebnahme zu überdenken.

Standardisierte offene Datenschnittstellen im Bereich der gesamten Gebäudetechnik für ein kosteneffizientes Andocken von Technischen Monitoring Plattformen, aber auch die Möglichkeit von innovativen Steuerungen, wären hier bereits in der Planung mitzuberücksichtigen. Dadurch kann nicht nur die Abnahme digital unterstützt werden, sondern gleich der ganze Lebenszyklus.. Das spart Kosten, Energie, Zeit und steigert auch noch die Nutzungsqualität – also einen Win-Win Lösung.

Gudrun Ghezzo: Nach dem Reporting kommt das ständige Verbessern: Wo seht Ihr aus Eurer Erfahrung heraus den größten Hebel?

Karl Zimota: Eindeutig in der Digitalisierung und Automation! Ich habe selbst mehrmals Energiemonitoringsysteme mit aufgebaut, KVP-Prozesse für Optimierung etabliert und verantwortet. Das Nadelöhr sind immer die motivierten Techniker*innen, die stundenlang vor Auswertungen sitzen und Daten analysieren. Diese Ressourcen waren auch schon vor vielen Jahren knapp, das wird in Zukunft nicht einfacher werden.

Gudrun Ghezzo: Welche Hürden sind mit dem technischen Gebäudemonitoring verbunden, und wie geht Ihr damit um?

Karl Zimota: Viele Gebäude sind noch immer mit proprietären Kommunikationsprotokollen ausgestattet. Besonders wenn unterschiedliche Gebäude auf gemeinsame Monitoring Plattform aufgeschaltet werden sollen, steht das vielen im Wege. Jene, die bereits frühzeitig auf offene Protokollstandards wie BACnet, OPC UA, Modbus/TCP o.ä. gesetzt haben, haben es jetzt einfacher. Im Bereich des Gebäudebestandes kann man die Kommunikationsstruktur auf Zukunftsfitness prüfen lassen: IT/OT-Sicherheit, Potenziale eines Smart Buildings, Industrie 4.0 Standards und IoT Lösungskonzepte werden dabei unter die Lupe genommen. Sowohl im Neubau als auch in der Sanierung dient die klassische IT-Architektur hier seit langem als Vorbild für die Gebäudeautomation, um Performance, Stabilität und Sicherheit gleichermaßen zu erreichen. Dieses Verständnis ist auch notwendig, wenn IT und OT-Netze immer mehr zusammenwachsen und EU-Vorgaben wie die NIS2-Richtline oder der Cyber Resilience Act (CRA) in den Unternehmen umgesetzt werden müssen. Hier ist noch viel zu tun.

Gudrun Ghezzo: Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit für dich persönlich?

Karl Zimota: Mitte der 90er Jahre war das Waldsterben, verschmutzte Seen und Flüsse, FCKW in der Atmosphäre, Abfalltrennung und die Reinigung der Abgase aus Fabriken und Kraftwerken die heißen Themen und daher auch im Fokus meiner damaligen Ausbildung als Umwelttechniker. Viele dieser Herausforderungen konnten nur global gelöst werden. Sie gehören heute der Vergangenheit an - meine Kinder kennen viele dieser Themen gar nicht mehr.

Der Klimawandel, Dekarbonisierung und die Kreislaufwirtschaft gehören zu unseren neuen Herausforderungen und hoffentlich schaffen wir es noch bis Mitte des Jahrhunderts, endlich mit weniger Ressourcen auszukommen. Das wäre dann auch nachhaltig. Bis dahin kann jede*r seinen/ihren Beitrag dazu leisten, damit dieses Ziel erreicht werden kann – denn auch das wird nur gemeinsam funktionieren.

Gudrun Ghezzo: Was ist eigentlich Technisches Monitoring und was ist der Nutzen?

Karl Zimota: Das Technische Monitoring (TMon) prüft laufend und automatisiert die Leistungsfähigkeit bzw. Performance der Gebäude bzw. Anlagen anhand von digitalen Prüfungen. Diese werden auf Basis der technischen Beschreibungen und/oder Erfahrungswerten definiert. Ziel ist einerseits einen wirtschaftlichen, effizienten sowie funktions- und bedarfsgerechten Gebäudebetrieb herzustellen und ständig zu verbessern.

Wie die AMEV definiert, ist „das Technische Monitoring ein Instrument zur unmittelbaren Unterstützung des Projekterfolgs“. Dies gilt für den Neubaubereich, aber auch alle anderen Phasen des Lebenszyklus einer Immobilie wie Umbau und Sanierung kann das TMon unterstützen.

Im Idealfall startet ein TMon bei Neubau- oder Umbau in der Entwurfsplanung. Nur so kann garantiert werden, dass die notwendigen Spezifizierungen eingearbeitet werden können und Bauherr sowie später Facility Manager bestmöglich unterstützt werden. Während des Betriebes werden alle relevanten Systeme permanent auf Performance analysiert – so entsteht die Datengrundlage für Kennzahlen und Benchmarking. Mängel bei der Funktionalität von technischen Anlagen werden erkannt, Qualität und Kosten optimiert – das wiederum ist ein entscheidender Beitrag für nachhaltige Immobilien und deren Nutzerzufriedenheit.

Das Technische Monitoring kann aber auch in Bestandsimmobilien genutzt werden: Dort dient im ersten Schritt das Technische Monitoring als Analysewerkzeug und in weiterer Folge dazu, nachhaltige Lösungen etwaiger Probleme zu finden und zu überwachen.

Ein weiteres Zielbild ist ein Langzeitmonitoring, das durch KI und Data Analytics alle vorhandenen Gebäudedaten in einer Plattform zusammenführt: Beispielsweise können hier auch digitale Inspektionen, Anlagenmonitoring, Energiemonitoring, Gebäude- und Behaglichkeitsmonitoring, … integriert und gemeinsam gesteuert werden.

Das birgt ein großes Potenzial für einen performance- und datenbasieren Gebäudebetrieb, bei dem die Ressourcen der Mitarbeiter*innen besonders im Bereich der Überwachung und Routinetätigkeiten deutlich entlastet werden können. Viele weitere Bereiche, wie die zustandsbasierte Instandhaltung, könnten dann auf Basis der Performancezahlen gesteuert werden.

Weiterführende Links:

Fachtagung: https://www.tuvsud.com/de-de/store/akademie/tagungen-kongresse/anlagentechnik-und-betriebssicherheit/4114038

Leitfaden: https://www.tuvsud.com/de-de/branchen/real-estate/technische-gebaeudeausruestung-und-aufzuege/gebaeudeautomation/white-paper-ga-planen

Technisches Monitoring: Visualisierung und Management der Gebäudedaten | TÜV SÜD (tuvsud.com)

 

Alles über die aktuellen Herausforderungen der Immobilienwirtschaft und wie man diese meistert erfahren Sie auf unserem 5. Ghezzo Immobilientag!

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